Thematik

Unter „Sekten/Kulten“ werden religiöse, politische oder Psycho-Gruppen verstanden, die sich das Bedürfnis des Menschen nach Lebenssinn, Spiritualität, Geborgenheit, Sicherheit, Liebe, Gemeinschaft, Frieden, Selbstbewusstsein, Identität, Zukunftsperspektive, Orientierung und Hoffnung zunutze machen. Diese Bewegungen werden auch deshalb als „destruktiv“ bezeichnet, weil bestimmte Methoden zur Anwerbung neuer Mitglieder und zum Halten der Konvertiten angewandt werden, die für den Einzelnen in der Regel nicht durchschaubar sind. D.h., es wird in hohem Maße mit Täuschung gearbeitet.
Angehörige sind oft durch die abrupte Persönlichkeitsveränderung des Kultmitglieds irritiert. Die alte/ursprüngliche Wertewelt wurde scheinbar innerhalb kürzester Zeit durch die jeweiligen Werte des Kultes ersetzt. Das Dilemma für den Einzelnen ist dabei, dass die neue Wertewelt nicht „gewachsen“ ist, sondern schlichtweg „adoptiert“ wurde. Dies macht sich nach einem möglichen Ausstieg aus der Gruppe in hohem Maße belastend bemerkbar.
Allen Kulten ist gemein, dass ihnen eine autoritäre Führergestalt vorangestellt ist, der die Mitglieder absoluten Gehorsam und ergebene Treue entgegenbringen müssen. Es wird eine stark in sich geschlossene Lehre vermittelt, welche die absolute Wahrheit darstellt und nicht hinterfragt werden darf. Meist handelt es sich um synkretistische Ideologien, die auf traditionellen religiösen Hintergründen basieren, zunehmend jedoch auch um sogenannte. „Psychokulte“. Im Zentrum der diversen Ideologien steht immer ein Heilsversprechen, das die Verbesserung, Rettung und Erlösung der Welt und/oder des einzelnen Mitglieds beinhaltet – allerdings nur unter der Bedingung, dass sich das Kultmitglied dem Führer und seiner Lehre kritiklos unterordnet. Die Mitglieder und deren Alltag sind in der Regel straff organisiert, wobei zu Beginn nach dem Prinzip der stufenweisen Vermittlung von Informationen (je nach „Bewusstseinsstufe“ des Einzelnen) vorgegangen wird. Gruppendynamische Prozesse wie Konformität, gemeinsame Zielsetzung, Rollenverteilung und die verbindliche Definition von Normen und Werten führen zu einer kultspezifischen Sozialisation, die zur Verinnerlichung und Verbreitung der Kultideologie führt.
Schrittweise Sozialisation und Indoktrination führen schließlich zu einer Bewusstseinskontrolle, die sich durch den gezielten Einsatz bestimmter Techniken, wie Verhaltens-, Gedanken-, Gefühls-, Informations- und Milieukontrolle, mystische Manipulation, Manipulation der Sprache, Vorrang der Lehre vor dem Menschen, Zu- und Aberkennung der Existenzberechtigung sowie der Entzug von Privatsphäre manifestieren. Täuschung und finanzielle Ausbeutung kommen fast unmerklich bereits zu Beginn zum Einsatz.
Das neue Mitglied verliert schon bald die Fähigkeit zur Selbstbestimmung, ein Deindividuationsprozess setzt ein. Üblicherweise geschieht dies ganz ohne sichtbaren äußeren Zwang. Das Mitglied wird schrittweise durch gleichzeitige Anwendung dieser Techniken soweit manipuliert, dass es das Bewusstsein für seine eigene persönliche Identität teilweise oder ganz verliert. Es meint zu fühlen, dass die Veränderungen dem persönlichen Wachstum dienen und zusätzlich von unermesslichem Wert für die gesamte Menschheit sind. Um nicht egoistisch oder selbstsüchtig zu wirken, werden – auch aufgrund der Gruppenkonformität – frühere Hobbys und Interessen einfach aufgegeben.
Bei dem Begriff Bewusstseinskontrolle muss berücksichtigt werden, dass ein Kultbeitritt nicht unidirektional und monokausal abläuft. Von besonderer Bedeutung ist hierbei, dass ein potenzielles Kultmitglied auch eine gewisse Motivation/Bereitschaft für die Indoktrination mitbringt. Es gilt deshalb, beide Seiten eingehend zu betrachten: den zu Manipulierenden und den Manipulator – den „Schlüssel“ und das „Schloss“.
Die Welt wird vereinfacht in „schwarz“ und „weiß“ verstanden, empfunden und dargestellt (verabsolutiertes, dichotomes Denken). Innerhalb eines kurzen Zeitraums ist der Neuling allmählich, aber dennoch systematisch belehrt, wie er entsprechend der Heilslehre denken, fühlen und handeln soll. Diese immense Manipulation des Individuums funktioniert durch eine geschickte Kombination von Belohnung und Bestrafung. Identität, Selbstachtung und Wohlbefinden werden von der Ergebenheit und dem Gehorsam gegenüber dem Kultführer und den festgelegten Regeln bestimmt.
Es ist für den Einzelnen nicht transparent, was auf den höheren Hierarchieebenen der jeweiligen Gruppe geschieht. Jeder erfährt nur genau das, was er wissen muß, um sich gruppenkonform zu verhalten. Für den Kult unbequeme Fragen werden als gefährlich, satanisch, irrelevant, deviant oder einfach als unwichtig dargestellt.
Die meisten Mitglieder von Kulten lernen, ein asketisches, diszipliniertes und gehorsames Leben zu führen. Ihr Verhalten ist einseitig orientiert und kontrolliert. Informationen zwischen ihnen und ihrer Umwelt, eingehende wie hinausgehende, werden zensiert. Das Mitglied wird misstrauisch gegenüber jedem, der versucht, die Bindung zur Gruppe in Frage zu stellen (z. B. Familie, frühere Freunde). „Negative“ Gedanken, die die Integrität des Führers untergraben, die Richtigkeit der Kultdoktrin anzweifeln oder Makel an der Organisation aufdecken könnten, werden vom Kultmitglied zwanghaft unterbrochen und gestoppt.
Dies wird verstärkt durch den mechanischen Gebrauch erlernter kultspezifischer Techniken (z. B. rituelle Gesänge, diverse Meditationstechniken, Sprechen von Mantren, Autosuggestion, In-Zungen-Sprechen, Beten oder Singen, Tanzen, spezielle Atemtechniken, Trancezustände). Das Kultmitglied wird dazu aufgefordert, diese Techniken auf sich selbst anzuwenden, immer in dem Glauben, dass es ihm hilft, geistig zu wachsen. Im Grunde dienen diese Techniken der Einschränkung seiner Fähigkeit, frei zu denken und sein Leben selbstbestimmt zu führen. Motiviert wird dieser Vorgang mit Heilsversprechen, die kaum je erfüllt werden können (z. B. Rettung der Welt, übersinnliche Fähigkeiten, Überleben nach einem Weltuntergang, hohe spirituelle Ebenen etc.).
Je intensiver der Neuling auf diese Weise indoktriniert wurde und je umfangreicher er selbst dazu bereit war, die neue Wertewelt zu internalisieren, desto schwieriger wird es für ihn, persönlich zu reifen und sich weiterzuentwickeln.
Indoktrination bewirkt, dass frühere Werte, Normen, Glaubensrichtlinien und Verhaltensmuster abgelegt werden. Doch sie sind nie ganz ausgelöscht. Die „alte“, ursprüngliche Identität wird durch die neue Kultidentität scheinbar ersetzt. Zunehmend wächst die Unfähigkeit, objektiv abzuwägen oder sich mit kritischen Gedanken auseinanderzusetzen. Es wird unmöglich, eigene, selbstständige Entscheidungen zu treffen, die unabhängig von den Vorschriften des Kultes sind. Das Mitglied lässt sich nun vom Führer, von der Ideologie und der Organisation steuern bzw. treiben. Parallel dazu setzt ein Elitebewusstsein ein, das aus der Überzeugung resultiert, die „einzige absolute Wahrheit“ gefunden zu haben und auserwählt worden zu sein. Das äußert sich z. B. in kulttypischen Ausdrücken gegenüber dem Rest der Menschheit, der als „Systemiten“, „Karmis“, „Preclears“, „Suppressive Persons“, „Rohes Fleisch“ etc. bezeichnet wird.